Gefühle sehen

Heute betrat ich das Atelier einer Gruppe. Ich wollte mir eine Kinderschere ausleihen.
Im Raum saßen 2 Kinder und malten an einem Gemeinschaftsbild. Dachte ich! War aber nicht so. Beim Verlassen des Raumes bekam ich, sehr höflich, die Bitte zu hören:
„Mach bitte die Tür zu. Wir wollen nicht, dass andere unsere Gefühle sehen.“ „Mach ich“ sagte ich automatisch, denn wir nehmen uns hier alle in unseren Bedürfnissen ernst und handeln entsprechend. Als ich draußen war hallte der Satz „Wir wollen nicht, dass andere unsere Gefühle sehen“ nach und ich kehrte um. Auf die Frage warum andere die Gefühle nicht sehen sollen, bekam ich eine sehr schlüssige Antwort: „Also, wir malen ein Tagebuch.“ Da sah ich genau hin und stellte fest, dass die Gemeinschaftsarbeit 2 einzelne Blätter waren, die mit grünem Klebeband zu einer Doppelseite zusammen geklebt worden sind.

„Ein Tagebuch, da schreibt man rein, was man über Freunde denkt!“ „Ja genau, und das sind Gefühle.“ „Wir wollen nicht, dass andere dass sehen, nur wir.“ Nach etwas überlegen wurde dann noch ein anderes Kind genannt, was so nahe ist, dass es die „Gefühle sehen darf“.

Die Bildung der emotionalen und sozialen Intelligenz ist ein wesentlicher Aspekt in unserer pädagogischen Arbeit. Wie differenziert hier über Gefühle nachgedacht und gesprochen wurde, welche Wertigkeit ihnen entgegen gebracht wurde, welchen Schutzraum die Kinder diesen sensiblen Wahrnehmungen geschaffen haben, hat mich innehalten lassen.
Und es macht mir Mut. Mut in einer Zeit, in der zwischen der Zunahme an Belastungsstörungen, dabei spielen Gefühle eine enorme Rolle, und dem rücksichtslosen Umgang mit Gefühlen, z.B. in Hasskampagnen im Internet oder totaler Selbstdarstellung, das Thema emotionale- und soziale Intelligenz an Bedeutung gewinnt.